Am vergangenen Wochenende, eine Woche vor der feierlichen Zeugnis-Verleihung, fand das sogenannte 'Banquet' zu Ehren der diesjährigen Absolventen statt, eine interne Verabschiedungsfeier mit großem Essen und Festreden, veranstaltet vom Studentenrat von TECT. Einladungen wurden ausgegeben, und wir als Kollegium erhielten spezielle Eintrittskarten - als sogenannte 'Chief-Patrons' - deren Preis auf mindestens 10 Euro (75'000 Leons) vorgeschlagen wurde, natürlich auf freiwilliger Basis als Spende im Laufe des Abends zu entrichten, bei Bedarf auch beliebig viel mehr.
Am Vortag der Veranstaltung erhielt ich einen Programmablauf von der Präsidentin des Studentenrats mit dem Hinweis, ich solle die Rede des Abteilungsleiters für Theologische Studien halten, da dieser wohl nicht erscheinen werde. Mir war nicht ganz wohl dabei, als ich für diese ehrenvolle Aufgabe zusagte, denn im Büro habe ich gerade den Mega-Stress: Wie gesagt steht die Zeugnisverleihung unmittelbar bevor, da ist im Studienbüro naturgemäß viel los …
Instinktiv hatte ich die Präsidentin noch gefragt, wann das Banquet denn eröffnet werde, und sie hatte mir die veranschlagte Uhrzeit 8 PM (20 Uhr) genannt. Zu Hause stellte ich fest, dass zumindest auf meiner Einladung die Uhrzeit mit 6 PM (18 Uhr) angegeben war. Leicht verunsichert machten Lisa und ich uns um 20 Uhr auf den Weg zum Banquet, in der Tasche einen Umschlag mit unserer großzügigen Spende und einem Fresszettel mit Notizen zu meiner Rede, die ich eine halbe Stunde zuvor schnell auf die Rückseite meines Programmzettels gekritzelt hatte.
Der Vollmond erhellte den Hof vor dem Veranstaltungshaus ausreichend, und wir erkannten, dass wir nicht die ersten vor Ort waren; aber die zweiten. Der Vertrauens-Lehrer und seine Frau waren uns zuvor gekommen. Immerhin sollte er der Hauptredner des Abends sein. Drinnen waren schon ein paar der Absolventen, und Musik böllerte laut aus den Lautsprecher-Boxen: ein Mix aus Celine Dion und Mariah Carrey. Der DJ, ein Student, der im realen Leben wohl als raubeiniger Polizist seinen Mann steht, entpuppte sich im Laufe des Abends als Fan der genannten Künstlerinnen, sang sanft die Hüften wiegend alle Texte mit, und wird in meine Memoiren als 'DJ Kuschelbär' eingehen.
Kaum angekommen wurden wir von einem anderen Studenten mit Smoking und Fliege umgehend zum 'Hightable' gebeten, der langen Tafel auf der Ehrentribüne, die den VIPs (Dozenten) vorbehalten ist. Dort saßen wir noch geschlagene anderthalb Stunden, bevor die Veranstaltung schließlich um 21 Uhr 30 begann. Meine Kollegen nutzten die Zeit, um ihrerseits kurze Notizen auf Fresszettel zu kritzeln. Von ca. 80 Absolventen waren nur etwa 10 gekommen, und von den 150 erwarteten Gästen max. 30 anwesend. Ich dachte an das Geld in dem Umschlag in der Tasche und freute mich im Voraus für die Veranstalter. Immerhin kam gegen 22 Uhr der letzte Dozent an unseren Tisch. Er hätte laut Programm vor einer halben Stunde (eigentlich ja vor 2 Stunden!) das Eröffnungsgebet halten sollen; ich war auf Geheiß des 'Chairman' eingesprungen. Denn wenn der Chairman (Vorsitzende des Protokolls) etwas sagt, muss ihm Folge geleistet werden, es sei denn der Principal (Rektor) schreitet ein, was er aber nie tut.
Die Rede des Vertrauenslehrers troff vor Weisheit, die live gesungenen Musikbeiträge waren soweit erträglich, und die Drinks (Cola und Malzbier) waren eisgekühlt. Das Essen war erwartungsgemäß köstlich, einzig der Fisch hatte einen Fehler und schaute verschmäht aus leeren Augen aus dem Salat zu uns herauf. Dann kamen die Reden der Abteilungsleiter an die Reihe, und meine Müdigkeit wich der Nervosität. Es war inzwischen 22 Uhr 30, und der Chairman kündigte optimistisch das Ende der Veranstaltung für 23 Uhr an: "Immerhin haben wir Pastoren hier oben am Hightable noch unsere Predigten für morgen zu schreiben …"
Von alter Tradition abweichend war die Abteilung Theologie von erster an dritte Stelle gerückt worden, was mir Zeit gab, meine Notizen noch einmal zu überfliegen. Ich hatte mich noch nicht auf eine Einleitung festgelegt, wollte nämlich die beiden anderen Reden abwarten, um gegebenenfalls eine Überleitung machen zu können. Diese Strategie erwies sich als gut, wie mir bald klar werden sollte. Meine Nervosität stieg ins Unermessliche, als mein direkter Vorgänger sein Ende nicht finden wollte. Die Zeit: 22 Uhr 50. Mein Herz: klopft bis zum Hals. Als der Chairman schließlich den Redner für die Theologen ankündigt, höre ich kaum zu, lege mir meine einleitende Worte zurecht. Als er den Namen des Redners nennt, bleibt mein Herz stehen. Es ist nicht mein Name. Wäre ich ein Luftballon, hätte man das Adrenalin aus mir raus zischen hören können. Gar nicht böse über die jüngste Entwicklung des Abends verberge ich diskret meine Notizen, trinke einen Schluck Malzbier und versuche nicht zu grinsen. Ich suche den Blickkontakt zur Präsidentin, aber eine römisch aussehende Säule verhindert diese Peinlichkeit. Eine viel größere sollte noch kommen.
Neben mir sitzend fragt mich der Vertrauens-Lehrer im Flüsterton, ob eigentlich nicht besser ich die Rede für den Fachbereich Theologie hätte halten sollen, was ich dummerweise bestätige. Vergebens versuche ich ihm zu versichern, inzwischen intensiv hektisch flüsternd, dass ich kein Problem damit habe, im Gegenteil usw. Aber er steht schon auf, schleicht zum Chairman und bringt diskret seine Beschwerde vor. Noch bevor ich von meinem Gönner über den derzeitigen Stand der Entwicklungen informiert werden kann, hat der Aushilfs-Redner seine kurzen und ebenfalls äußerst spontan vorgetragenen Anmerkungen beendet, dem Chair das Mikro gereicht, welcher daraufhin einen jungen Pastor ankündigt, der als Administrator einen angeblich ausgezeichneten Dienst für das College tut. Diese zwanzig Sekunden waren die einzige Vorbereitungszeit für eine Rede im Namen des Studienbüros, die ich nach 2 Minuten hätte beenden können. Leider gewann der Albatros in mir die Oberhand, und ich legte mehrere Bruchlandungen hin, bis ich endlich zum Ende kam. Anschließend fragte ich mich, ob das flaue Gefühl im Magen wohl von dem kleinen Stückchen Fisch kam, das vor 30 Minuten zwischen den Salatblättern in meinen Mund gerutscht war.
So kann's gehen: stundenlanges Ausharren, in Erwartung eines bestimmten Ereignisses; und als es endlich soweit ist, sieht alles plötzlich ganz anders aus.
vor 3 Jahren
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