Montag, 14. September 2009

Angekommen!?

Wer uns regelmäßig besucht, weiß, dass wir, wenn wir uns in einer Wohnung mal "heimisch" fühlen, anfangen die Zimmer zu tauschen und die Möbel in der "bestmöglichen" Version auf die Wohnung, oder in unserem jetzigen Falle, das Haus, zu verteilen. Es hat wirklich einige Zeit gedauert, aber nun ist es soweit: das "Rumräumen" hat begonnen. Zwar erstmal nur im Kleinen, aber ich bin sicher, dass wir noch viele Möglichkeiten finden werden, unsere Möbel und Zimmer wild zu tauschen. Den ganzen Samstag über ist der Gedanke in uns gereift, das Schlafzimmer mit dem Gästezimmer zu tauschen. Gestern ist der Gedanke dann in die Tat umgesetzt worden und der von Daniel veranschlagte "Zeitplan" von knapp 3 Stunden wurde auch locker eingehalten ;-) so dass wir auch am Abend noch in die "Chapel" (Mi go na Chapul!), den Gottesdienst auf dem Campusgelände , gehen konnten und danach noch entspannt und müde einen James-Bond-Film schauen konnten. Jetzt sieht das neue Gästezimmer zwar genauso chaotisch aus wie das alte, nur in einem anderen Zimmer - aber wir haben uns schon vorgenommen, es bald aufzuräumen, da wir sicherlich mal Besuch bekommen.
So z. B. die deutsche Familie, die wie wir, seit Anfang des Jahres in SL ist, genauer in Freetown, und deren Kinder exakt das gleiche Alter und Geschlecht wie Anna und Paul haben. Am Freitag haben wir sie in Freetown besucht und unsere Mädchen konnten ihr Glück kaum fassen - und ich wusste nicht, dass zwei völlig unterschiedliche Mädels genau gleich "gackern" können... es war herrlich anzusehen und zu hören... ;-) Die Jungs waren indessen nicht so sehr am anderen interessiert, wie Jungs und vor allem dreijährige eben sind - erst mal abchecken, welche Spielsachen da sind... und mit dem anderen kann man sich danach beschäftigen... aber trotzdem war die Trauer bei unseren Kindern groß, als wir uns gegen 8h auf den Heimweg gemacht haben (wir mussten dann noch etwa 1 1/2 Stunden fahren, es ist wieder ein Containerschiff angekommen und die Lastwagen blockierten alle Straßen... aber es kurbelt die Wirtschaft an... hoffentlich!). 
Heute geht es wieder munter weiter, Daniel muss seine Vorlesung halten, die Kinder spielen, Doris und Sarah spülen und kochen, Foday wäscht und ich werde gleich in die Bibliothek gehen und mich mit den Studenten "rumschlagen", die manchmal weder die Zahlen noch das Alphabet können - zumindest tun sie so, damit ich ihnen die Bücher direkt vor die Nase halte... 

Mittwoch, 9. September 2009

Nagelstudio

Wer weiß schon genau, was ein Niednagel ist? - Wenn ich meinen vor drei Wochen nicht eigenhändig entfernt hätte, könnte ich jetzt normal tippen und schreiben. Immerhin tut mir nichts mehr weh. Dafür ist die Kuppe meines rechten Ringfingers jetzt ein bisschen dicker als vorher. Mal sehen wann es heilt. Der Arzt ist zufrieden, der "Dress-Man" auch. Ich weiß noch nicht.
Im Normalfall fingert man an diesen kleinen überstehenden Teilchen des Fingernagels solange herum, bis man sie endgültig vom Nagel ablöst. Und im Normalfall passiert dann nichts weiter. Bei mir war nach 3 Tagen an der rechten Seite des Fingernagels eine herbe Entzündung entstanden, die zunehmend schmerzte. Meine fleißige Pflegerin Lisa nahm sich meines Fingers an und verschrieb ihm heilende Kräuter. Der Arzt im nächstgelegenen Krankenhaus begrüßte diese Maßnahme, als ich eine Woche später vorsprach, da die Schmerzen unangenehm und die Schwellung überdimensional geworden waren, und schließlich sowohl Blut als auch Eiter nicht mehr von selbst aufhören wollten zu fließen.
Der Assistent im OP wetzte schon das Messer, aber der Chef konnte ihn gerade noch zurückhalten: "Zunächst muss der Eiter vollständig raus und die Entzündung aufhören; vorher schneiden wir nichts weg!" - Also: Antibiotika in doppelter Dosis, alle zwei Tage zur Kontrolle ins Krankenhaus, die ganze Anmeldeprozedur inclusive. Das heißt im Einzelnen:
  • Beim "Registrar" die kleine Pappkarte vorzeigen und gegen Le 5'000 (inzwischen € 1,-) die große Pappkarte entgegen nehmen. (Wartezeit: ca. 10 Minuten Schlangestehen, alle anderen drängeln sich erbarmungslos vor.)
  • An der ersten "Schwesternstation" wird man auf einer klapperigen Waage barfuß gewogen und bei Bedarf wird Fieber gemessen; alle Informationen wandern sowohl in die "Akte" als auch in ein dickes blaues Buch, das hier jedes Büro mehrfach führt. (Wartezeit: 5 bis 35 Minuten, je nach Andrang, Lust und Laune; die Prozedur findet vor dem Paravent statt, d.h. vor aller Augen, derer die schon bedient sind, und allen anderen.)
  • Die zweite "Schwesternstation" befindet sich hinter dem Paravent; hier wird Blutdruck gemessen (egal, ob man sich schlecht fühlt, den Finger gequetscht hat oder so) und eine flüchtige Anamnese erstellt und entschieden, ob man den Arzt sehen darf, oder nicht. (Wartezeit: nur etwa 5 Minuten.) Falls ja, muss man nicht zurück auf die wackeligen Holzbänke, auf denen die ernsthaft Kranken versuchen zu liegen und deren Begleiter und die nicht ganz so schlimm Erkrankten den anderen Patienten beim Wiegen zusehen, sondern man darf auf die kurze Holzbank an der Seite, gleich neben ...
  • dem "Consultation"-Room, dem Büro des Arztes. (Wartezeit: nicht weniger als 30 Minuten, aber mindestens solange, bis er wieder da oder überhaupt mal da ist.) Dort zeigt man die inzwischen reichlich mit stenografisch gleichen Hieroglyphen übersäte Akte vor, die der Arzt dann gar nicht liest, weil er eh alles vom Patienten selbst hören will. Allerdings schreibt er dann die Diagnose und medikamentöse Behandlung auf. In meinem Fall stand nach einer weiteren Woche an dieser Stelle: Bitte beim Kollegen vorsprechen - mit der mündlichen Begründung: "Ich hab jetzt ein Meeting."
  • Der nächste "Consultation"-Room war etwa so gross wie unsere Gästetoilette in Elstal und hätte längst wegen Überfüllung geschlossen sein müssen: Bis zu 5 Leute passten rein, die alle nichts von Privatsache "Arztbesuch" gehört zu haben scheinen. Im Gegenteil: Von nun an war mein Finger ein kleines Highlight, alle wollten sehen, was der weiße Mann bloß an der Hand hat ... (Wartezeit: noch mal so lange.)
"Das müssen wir sofort schneiden" sprach der Kollege und schleppte mich augenblicklich in den "Emergency"-Room (auch OP; Wartezeit: nur 15 Minuten, wg. Säuberungsarbeiten.) Dort verpasste er mir eine Narkose, die sich gewaschen hatte: Als ich mal hinschaue pickst er gerade mit der Nadel in die Fingerkuppe und fragt: "Spürst Du was?" - Mir wird flau, nicht nur weil ich die beiden anderen Patienten im Raum krampfhaft zu ignorieren versuche oder gar über den ungefegten Boden nachdenke, auf dem immer noch die abgeknipsten Fingernägel des Assistenten vom Assistenten herum liegen, sondern v.a. weil ich kein Frühstück hatte und gleichzeitig versuche Anna zu beschäftigen, die unbedingt mitkommen wollte, um Papa die Hand zu halten.
Ich hätte besser Lisa mitnehmen sollen. Nicht weil Anna sich schlecht um mich gekümmert hätte, ganz im Gegenteil! Viel mehr hätte ich ahnen können, dass mir an diesem Tag die Wunde geöffnet wird; und dass das nicht ohne Betäubung gemacht wird, war irgendwie klar, sogar in einem Krankenhaus Freetowns. Die Betäubung war auch nicht das eigentliche Problem, wohl eher die schnelle Verflüchtigung ihrer Wirkung und die damit verbundenen Schmerzen, nicht nur die allgemeinen post-operativen Schmerzen, sondern sowohl die beim Schalten in den 2ten und 4ten Gang, als auch in dem Moment, als Anna mich am o.g. Finger packte, als wir die Strasse überqueren mussten.
Was aber ist nun mit meiner Akte geschehen? Nachdem wir sie im OP kurz haben suchen müssen, kam ein Notfall rein, und ich durfte (oder musste?) schnell den Raum verlassen, und am Kassenfenster (gleich neben dem Registrar; Wartezeit: noch mal bis zu 15 Minuten) die Medizin im Voraus bezahlen (Le 20'000; € 4,-). Die OP hatte ich gleich nach dem Verbinden noch im OP bar bezahlt: Le 15'000 (€ 3,-), all inclusive.
Die Kassiererin wollte die Akte aber auch nicht behalten, sondern am Giftmischer-Fensterchen schiebt man sie samt Quittung durch ein Gitter und erhält nach bis zu 10 Minuten Wartezeit sein optimal abgezähltes Tütchen Pillen mit einer Anwendungsbeschreibung, die an Einfachheit nicht zu überbieten ist: II-II-II-II (heißt so viel wie: 4 mal 2 nehmen!).
Seit dem gehe ich spätestens jeden dritten Tag dort hin (zum Glück keine 20 km weit) um für das "Dressing" (Verband wechseln) die ganze Prozedur nochmals über mich ergehen zu lassen. Beim ersten Mal versuchte ich, die ersten 5 Etappen zu umgehen, und tatsächlich: die erste Schwesternstation darf ich umgehen. Auch der direkte Arztkontakt bleibt mir erspart, denn die Wunde heilt ganz gut. Hat ja niemand gesagt, dass es nachher auch gut aussehen soll, oder? Einer meiner Studenten sagte gestern ganz liebevoll zu mir: "Der Nagel wächst bestimmt nach! Schau mal bei mir ..." und dann zeigt er mir seine 2 Zeigefinger die sich zwar nicht mehr ähnlich sehen, aber trotzdem beide einen Fingernagel haben.
Ich lasse jedenfalls in Zukunft die Finger von den Niednägeln und bringe in das Krankenhaus meine Salben selber mit, sonst müssen sie mich noch mal unverrichteter Dinge nach Hause schicken, wenn ich zum "Dressing" erscheine ...