Samstag, 15. August 2009

Verliebt - verlobt - verheiratet

... ganz so einfach ist das nicht. Diese Woche waren wir zu einer zeremoniellen Verlobungsfeier eingeladen, und die hatte es in sich! Die Familie des Bräutigams mußte richtig um die Braut kämpfen, während er selbst noch nicht einmal anwesend war. Mit der Erlaubnis des Familienoberhauptes der Braut veröffentlichen wir hier nun einen Bericht über die Verlobungsfeier.

Auf der Einladungskarte steht Veranstaltungsbeginn sei 2 pm (14 Uhr), aber vor 3 brauche ich nicht kommen, wie man mir gleich dazu sagt. Auf die Frage, ob ich als Nicht-Familienmitglied wirklich erwünscht bin, erhalte ich zwei Antworten: "Wenn Du vom Familienoberhaupt eingeladen wirst, bist Du immer erwünscht. Außerdem bist Du nicht der einzige Gast, den meine Schwester nicht kennt!" - Der älteste Bruder der Braut gilt als Verantwortlicher der Familie, weil der Vater vor einigen Jahren bereits verstorben ist. Sämtliche Veränderungen der Familie müssen seit dem 'über seinen Tisch' gehen. - Als ich um Punkt 3 pm an dem Haus ankomme, sitzen draußen mir unbekannte Leute. Das ist nichts besonderes, denn es wird eine größere Veranstaltung, so scheint es. Ich grüße höflich und betrete das Haus; es wundert mich noch nicht, dass mein Gruß nicht erwiedert wird. Drinnen sitzen bereits Gäste, manche davon sind mir bekannt. Besonders auffällig ist die Sitzordnung: zwei sich gegenüber stehende Fronten, wie im Oberhaus des Britischen Parlaments, Regierung und Opposition. Die eine Seite ist noch leer, während sich die andere innerhalb der nächsten Stunde füllt. Aus der Küche duftet es schon ganz gut, der Generator brummt in einem Zimmer des Hauses, denn draußen regnet es in Strömen. - Wir haben August, die "romantischste" Jahreszeit in Sierra Leone: Regenzeit.

Irgendwann steht ein mir vage bekannter Mann auf, der sich als Moderator des Tages vorstellt, ein sogn. Chairman, wie ihn jede Veranstaltung in SL braucht, hier nun "Spokesman" genannt: der Redner des Tages. Ganz im Sinne moderner Konfliktbewältigungs-Strategien amerikanisch-europäischer Prägung würde ich ihn lieber "Mediator" nennen. Alle Kommunikation zwischen den beiden Parteien wird heute ausschließlich über ihn gehen. Er begrüßt uns alle als Großfamilie, wobei die nicht verwandten Gäste wie ich (und er selbst!) munter miteingeschlossen sind. Von Verlobung o.ä. sagt er nichts. Ich frage mich schon, ob ich auf der richtigen Veranstaltung gelandet bin. Die Begrüßung endet mit der Bemerkung, draußen würden ja irgendwelche Fremden sitzen, und der Frage, ob wir sie reinlassen wollen um herauszufinden, wer es ist. - Wir beantworten die Frage zögernd, halbherzig. Sie sollen sich mal nicht all zu willkommen fühlen! (Später erfahre ich, dass das noch die harmlose Variante war: Normalerweise stehen sie stundenlang vor verschlossener Tür und müssen anklopfen, werden zuerst sogar eine Weile ignoriert und müssen dann "beweisen", dass sie in friedlichder Absicht gekommen sind; zu Kriegszeiten war dieser "Beweis" besonders wichtig!) Die Fremden betreten das Haus und nehmen auf der uns gegenüber liegenden Seite Platz. Sie sind nervös und schweigen betreten. Auf unseren Gesichtern spiegelt sich Skepsis. Bevor der Spokesman die Fremden einläd sich vorzustellen, wird ein großes Glas mit Wasser gebracht, in dem eine für mich undefinierbare Substanz schwimmt. Der Moderator fischt es heraus und bricht es in kleine Teile. Jeder im Raum - die Fremden zuerst - müssen ein Stück davon essen, zum Zeichen, dass alle in freidlicher Absicht gekommen sind. Es handelt sich um eine große  Nuß (Kola-Nut), deren Geschmack mich in seiner Intensität an puren Ginger erinnert, zuerst unglaublich trocken und furchtbar bitter, glücklicherweise mit weichem Abgang. Alle stecken es locker weg; mich bedenken sie (zu Recht) mit erwartungsvollen Gesichtern: "Meisinger, alles klar?" - Mir bleibt das Lächeln beinahe im Hals stecken; ich kriege gerade so ein Nicken zustande.

Nachdem er dazu aufgefordert wurde, erhebt sich ein junger Mann, der zuerst sich als Familienoberhaupt vorstellt, anschließend seine Mutter und die anderen Vertreter seines Clans. Auf die Frage, was sie nun genau von uns wollen, gesteht er beinahe zähneknirschend, dass sein kleiner Bruder ein Auge auf eine "Frucht" dieses Hauses geworfen hat. Es handle sich um eine bestimmte Frucht und nun sei man gekommen, um höflich zu fragen, ob u.U. bestimmte Verhandlungen aufgenommen werden können. Der Mittelsmann fragt zurück, ob sie sicher sind, im richtigen Haus zu sein, und was sie zu tun bereit sind, um ihre Absichten zu untermauern. Daraufhin zückt der große Bruder einen Stapel Umschläge und nennt die Empfänger, eine Liste Hausangehöriger, die der "Frucht" beim Wachsen geholfen haben: sämtliche Haus-Angestellten, Brüder und Schwestern, Onkel und Tanten, die Mutter und zu guter letzt den Vater. Die Umschläge sind gut befüllt, insgesamt eine Menge guter Argumente für uns, Verhandlungen u.U. in Erwägung zu ziehen. Feierlich überreicht er die Briefumschläge dem Moderator. Mit dem Hinweis auf den uns gegenüber ausgedrückten Respekt empfiehlt der Mittelsmann unserem Familienoberhaupt ausdrücklich die weiteren Verhandlungen mit der anderen Partei. Zögernd stimmt er zu und nimmt den Stapel Umschläge entgegen. Die Bittsteller sind sichtlich erleichtert. Unser Oberhaupt fragt den Moderator, ob die anderen wirklich genau wüßten, um welche Frucht es sich handelt. Er hätte da einige, ganz verschiedene anzubieten, allerdings müßten sie mühsam herbei geschafft werden. Der Fremde wird nun wagemutiger und stimmt dem aufwendigen Transport der "Früchtchen" zu; er sei auch bereit, den Transport zu bezahlen. Kleine Scheine werden den Tanten der Familie in die Hand gedrückt und auf den Weg geschickt. Im hinteren Teil des Hauses wird Gekicher laut, als eine "Frucht" nach der anderen angeschleppt und dem Interessenten vorgestellt wird. Jedesmal fließen Scheine von Hand zu Hand; jedesmal will eine andere Tante die nächste Frucht organisieren. Nr. 3 soll es dann sein, in Schleier verhüllt sitzt sie zwischen die Fronten, ist von jetzt an "Verhandlungsgegenstand".

Vom Redner des Tages wird sie gefragt, ob sie 'diese Fremden da' überhaupt kennt und bereit ist, hier so sitzen zu bleiben. Sie nickt verstohlen, was ihrem Bruder nicht reicht. Er provoziert eine laut und deutlich ausgesprochene Antwort: "Ja." - Auf die Frage, was nun für diese "Frucht" in die Waagschale geworfen werden wird, übergibt der große Bruder des zukünftigen Bräutigams dem Moderator eine Schüssel mit verschiedenen Früchten und weiteren Kola-Nuts. Die besondere Pointe ist eine besondere Bibelausgabe und ein kleines Kästchen mit Ringen. Der Hausvater ist einigermaßen beeindruckt, als seine kleine Schwester die ihr feierlich überreichten Geschenke respektvoll in seine Hände gibt. Im Gegenzug erhält sie von ihrem Familienoberhaupt eine Reihe guter Ratschläge. Z.B. sollte sie der anderen Familie immer mit höchstem Respekt begegnen, sich gemäß ihrer gut christlichen Erziehung verhalten und ihr neues Zuhause als ihre neue Familie betrachten; er sei nun nicht weiter für sie verantwortlich. Nun erheben sich die besonders geladenen Geistlichen und nehmen die Verlobungszeremonie vor: Das "gegnerische" Familienoberhaupt steckt der Braut den Ring an den Finger. Gebete werden gesprochen, nicht ohne der verstorbenen Familienväter zu gedenken.

Danach gibt es Grund genug, nun endlich die Familie der Braut ausführlich vorzustellen. Ganz zum Schluß wird nach dem Bräutigam gefragt, die anwesenden Mütter, Tanten und Schwestern wollen ihn unbedingt in Augenschein nehmen. Weil er noch nicht da ist, beginnen wir mit dem Festessen. Währenddessen trifft er ein und das Paar tanzt den ersten Tanz - wenig feierlich, aber ziemlich ausgelassen. Damit ist der offizielle Teil beendet, die Gäste essen und trinken sich satt. Alle möglichen alten und neuen Familien-Konstellationen werden photografisch festgehalten. Währenddessen trommelt der Regen weiter auf das Wellblechdach, und die ersten Hunde kommen um die Reste zu fressen, die achtlos vor den Hauseingang gekippt werden. Letzteres gehört zwar nicht zu den gängigen Verlobungsritualen, ist hier aber allgemein üblich. Der kleine Mecks ist auch dabei und lernt von seinen Onkels und Tanten, wie man als Hund auf unserem schönen Campus überleben kann.

2 Kommentare:

judith hat gesagt…

schon sehr cool, was Ihr alles so für Erfahrungen macht... : )

Anja Bär hat gesagt…

oh man, hab ich gelacht - vielen vielen Dank für diesen coolen Bericht. Ich bin begeistert und wäre gern dabei gewesen - und sei es nur, um dich zu beobachten!!!